Liebe Gäste,
wir eröffnen heute die Doppelausstellung von Katrin König mit installativer Druckgrafik und Beate Debus mit Skulpturen.
Eigentlich war der Beitrag von Beate Debus zunächst als Kabinettsausstellung geplant. Die Galeristin Sybille Nütt hat aber eine gute Entscheidung getroffen, und den Skulpturen nahezu gleichwertigen Platz zu den Drucken von Katrin König in dieser Ausstellung eingeräumt. Der Grund dafür wird sofort ersichtlich: Die beiden Werkreihen sind in ihrem Geist verwandt, ergänzen und bereichern sich gegenseitig, dazu später mehr.
Titelgeberin der Ausstellung ist Katrin König. Wir befinden uns nämlich im sogenannten Tusculaneum. Eigentlich muss es heißen Tusculaneum I, weil es unmittelbar nach dieser Ausstellung noch ein Tusculaneum II in Dresden geben wird, wo Katrin König in der Galerie der Alten Feuerwache Loschwitz vom 24. Oktober bis 13. November ein weiteres Konvolut ihrer raumgreifenden Druckgrafik unter anderen Aspekten zeigen wird.
Beim Ausstellungstitel sind wir, die wir uns für Bildungsbürger halten, gleich mal schwer gefordert in Geschichte und Latein. Worauf ich selbst, in Latein kaum kundig und nur bedingt geschichtsinteressiert, vermelde, der Ausstellungstitel sei eine Verschmelzung von „Tusculanum“ und den „Tusculanes disputations“, was Erläuterungen zu den Machenschaften von Herrn Cicero im alten Rom nun nach sich ziehen müsste, worauf ich vorerst verzichte.
Na freilich ist der Ausstellungstitel, den Künstler in welcher Form auch immer uns mitteilen, ein wertvoller Fingerzeig, ihre geistige Spur aufzunehmen…und ich werde diese Spur aufnehmen.
Die im thüringischen Eisenberg geborene Künstlerin kam über Umwege zum Studium an die Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein Halle. Zu ihrer ganz eigenen Kunst kam sie vor-allem über den Umweg nach Rom, wo sie bereits während des Studiums gastierte, wie zeitnah danach.
Nach Rom, einem Ort offensichtlich wesentlicher Inspiration für das Werk von Katrin König, wie es sich heute uns hier zeigt, zieht es die inzwischen mit einigen Preisen, Gaststipendien und bedeutenden Ausstellungsbeteiligungen zurecht geehrte Künstlerin nach wie vor hin, wie eine Nominierung für die Villa Massimo Rom aus dem letzten Jahr zeigt.
In Rom hat sie auch die entscheidenden Impulse erhalten für die Anwendung der Collagraphie – eine seltene druckgrafische Technik, die Katrin König seitdem in ganz eigener Prägung entwickelt hat und nun meisterlich zelebriert, wie wir hier sehen können.
Ebenbürtig, d.h. nicht, natürliche Formen und Strukturen einfach nachzuahmen. Solches Epigonentum wird mit der Hölle bestraft. Sich dagegen in die Strukturen, Wachstumsformen und Entstehungszusammenhänge natürlicher Materie einzufühlen und daraus die eigen schöpferische Kraft und Form zu entwickeln, ist der echte Künstlerweg.
Katrin, ist auf Deinem Weg vielleicht am Horizont schon Nirwana in Sicht? Nein….na das wird schon noch kommen.
Sich auf diesem Weg wach und lebendig zu halten, bei sich zu bleiben und sich doch zu verändern, zu wandeln, so wie es unsere natürliche kreatürliche Umgebung seit Millionen Jahren tut, ist dabei von entscheidender Bedeutung.
Drei umfassende Werkgruppen dieser Druckgraphik von Katrin König lassen sich im Wesentlichen ausmachen: Das sind die Drucke auf großen Büttenpapieren, von denen hier nur ein zwei kleinere Exemplare gezeigt werden; dann die Reihe der mit Lackfarben auf schwarzen Papieren gedruckten, die nur im Katalog zu sehen sind und die neueste Werkgruppe, die wir hier in voller Pracht erleben können, wo auf transparenten Industrieplastikfolien gedruckt wird.
Formal sind diese Drucke hier denen auf Büttenpapier auf den ersten Blick sehr ähnlich. Auf den zweiten Blick erleben wir aber fast die gleiche Formenwelt in völlig veränderter Wirkung. Die kalte glatte Folie verspiegelt uns den Blick etwas, wirkt abweisender, zumindest distanzierter, die Strukturen entziehen sich uns hinter eine undurchdringliche Plastikhaut, die leicht erhabenen reliefartigen Strukturen, die in den Büttendrucken uns entgegensprangen, wurden unantastbar auf die Rückseite des Druckträgers verbannt.
Was ist passiert?
Eines Tages hatte Katrin König einfach die Nase voll. Sie hatte genug vom schönen Büttenpapier, von dem Material, wo der Grafiksammler, wenn er es vor Augen und in den Händen hält, genussvoll stöhnt.
So wie unsere Gesellschaft kälter, untereinander distanzierter, gar abweisender wird, mit einer kaum mehr greifbaren Zukunft, so wandelt auch Katrin König das Medium und bleibt doch in ihrem ureigenen Formenkanon, wobei sie durch die Transparenz des Materials zu einer weiteren Neuerung gelangt ist.
Die Druckformen erscheinen nicht mehr seitenverkehrt, wie das auf undurchsichtigen Material üblich ist, sondern sie wurden auf der vom Betrachter abgewandten Seite gedruckt, wodurch dem Ausdruck noch mehr Direktheit verliehen wird.
Eine sehr erfindungsreiche Verfremdung, die vom wachen Geist und der steten kreativen Bewegtheit der Künstlerin zeugt.
Übrigens ein Umstand, der auch auf Beate Debus zutrifft, womit ich mich dem Werk der in Eisenach geborenen, heute in Oberalba an der Rhön lebenden Bildhauerin nun zuwenden möchte.
Eine merkwürdige Parallele der Wandelung des Materials haben die beiden Künstlerinnen gemeinsam, die beiderseits bedeutsame Abschnitte oder auch Zäsuren in ihren Entwicklungen darstellen.
Aus welchem Material sind diese Skulpturen?…
Falsch, sie sind nicht aus Holz, wie ihre Oberfläche und ihr Charakter annehmen lassen. Sie sind aus Bronze. Aber die Vorlagen für diese Abgüsse hat die Holzbildhauerin freilich aus Holz geschaffen.
Auch hier bedeutet der Griff zu einem kälteren, härteren und glatteren Material, den Ausdruck der Formen in eine andere Wirkung zu bringen, mit ganz ähnlichen Folgen, wie ich das schon bei Katrin König erläutert habe. Diese seltsame und sicher seltene Parallele prädestiniert die Künstlerinnen umso mehr, hier gemeinsam auszustellen, wie das die Galeristin Sybille Nütt in weiser Tiefsicht sicher genau so konzipiert hat.
Beate Debus ist aber auch dem wärmeren Material Holz treu geblieben, wie die Masken im hinteren Teil der Galerie zeigen, zu dem ich mich gleich äußern werde.
Beate Debus` Skulpturen sind ebenfalls von einer Art abstrahierter Organik geprägt und strahlen eine ursprüngliche, archaische Wirkung aus. Die balkenartigen Gefüge sind in dieser Werkreihe, wie auch in den meisten anderen ihrer Skulpturen vom dualen Mit- und gegeneinander, auch Umeinander, wie auch von Überkreuzungen geprägt.
Ihre Titel, wie „Aufrichten“, „Verkreuzt“ und „Mitgetragen“ verweisen uns bereits auf das, worum es der Künstlerin geht. Um wesentliche Zustands- und Bewegungsformen, um das Fixieren elementarer existenzieller Grundzüge unseres Daseins. In ihrer klaren, reduzierten Formensprache bilden die Skulpturen dreidimensionale Zeichen.
Dabei wird, wie erwähnt, besonders das duale Prinzip des Lebens betont. Die Elemente werden deutlich farbig voneinander abgesetzt, was eine starke Spannung in der Gesamtform erzeugt. Die gegensätzlichen Elemente, meistens eine schwarze und eine hellfarbige Balkenstrebe, sind untrennbar miteinander verbunden, auch wenn sie sich mal kreuzen oder gegeneinander streben in Kampf und Streit, bedingen sie sich doch einander, sie stützen sich gegenseitig, sie brauchen sich, das Eine kann nicht ohne das Andere sein. Damit wird ein fundamentaler Grundzug des Lebens in den skulpturalen Metaphern von Beate Debus auf so klare wie eindringliche Weise zum Ausdruck gebracht.
Wer sich so mit der menschlichen Existenz befasst, der interessiert sich auch für Gesichter und Antlitze, wie es die kleineren Holzskulpturen im hinteren Raum belegen. Die Masken- Gesichter, meist schwarz gefasst im Kontrast zu hellen Stützformen und Einfassungen, sind mit räumlichen Durchbrüchen im Material auf wenige grobe Züge reduziert. Ihr mitunter recht bedrohlicher Gesichtsausdruck erinnert an afrikanische Holzmasken und somit auch an die expressionistische Porträtkunst. Überhaupt verkörpern die Maskenskulpturen einen starken emotionalen Aspekt, der sich oft schon im Titel andeutet, wie z.B. in der sogenannten „Schreimaske“.
Die Bezeichnung Collagraphie ist eine ziemlich unbeholfene allgemeine Subsumierung collageartiger Druckverfahren, die uns im technischen Verständnis des konkreten Herstellungsverfahrens von Katrin Königs Großdrucken nicht wirklich weiter hilft.
Tatsache wendet die Künstlerin ein puzzelartiges Collage-System an, indem sie ihre Druckform aus einzeln geschnittenen Platten zusammensetzt, welche aber aus demselben Material bestehen und nicht, wie für die Collage typisch, aus der Montage verschiedener Materialien. Die Oberflächenbearbeitung der Platten mit Ritzungen, strukturiertem Farbauftrag und leicht erhabenen reliefbildenden Materialien erzeugt dann im Ergebnis eher den deutlichen Eindruck einer Tiefdrucktechnik, die es ist, und uns im strukturellen Erscheinungsbild eher an die Radierung erinnert.
Druckgraphisch aktive Künstler, die wirklich eigene und einzigartige Druckverfahren entwickelt haben, sind gemeinhin Versteckspieler, die es lieben, vom Publikum über ihre technischen Raffinessen ausgefragt zu werden, um dann doch so gut wie nichts preiszugeben.
Insofern überlasse ich diesen Part der anwesenden Künstlerin, um mich dem Wesentlichen zuzuwenden:
Großdimensionierte Fragmente aus einer Halbwelt prangen vor uns. Stammen diese archaophobiden Moluskeln aus der kreativen Frühzeit des Menschentums oder sind es Marksteine für den Abgang unseres planetenzerstörerischen Menschseins? So weit, liebe Zeitgenossen, können die Assoziationen angesichts der Bilder von Katrin König reichen. Wenn wir uns auf die Mitte zwischen diesen Polen einigen, was vielleicht zu optimistisch gedacht ist, landen wir im Hier & Jetzt, wo Katrin König ihre Werke ansiedelt.
Die Dimension der Werke, vor allem die der wandfüllenden Formate ist keine Gigantomanie, obwohl diese Grafiken den klassischen Grafiksammler auch in dieser Hinsicht überfordern dürften und vor allem seinen Grafikschrank. Hier wird uns die Möglichkeit geboten, in die Gebilde und ihre Strukturen quasi einzutreten, um sie hautnah, wie z.B. eine Felswand, vor der wir stehen, erfühlen und erleben zu können.
Dadurch können wir mit den Werken in eine persönliche Beziehung treten. Ohnehin kommen uns die Strukturen und Gebilde von Katrin König irgendwie bekannt vor. Haben wir diese nicht vielleicht im Elbsandsteingebirge, in der Wüste Gobi, in der Baugrube nebenan oder im verwitterten Putz morbider Hausfassaden schon gesehen.
Ja schon… oder noch besser: nein.
Wir echten Künstler möchten gern ins Nirwana gelangen. Das ist uns wichtiger, als auf dem Kunstmarkt und oder in den Museen der Welt Erfolg zu haben, wogegen wir freilich auch nichts haben, wenn’s passiert.
Ins Nirwana werden wir nur eingelassen, wenn es uns gelingt, Gebilde zu formen, welche denen der Natur in deren unzweifelhafter Selbstverständlichkeit und Gelassenheit ebenbürtig sind.
Beide Werkreihen, die an der Wand, wie die im Raum versetzen uns gerade in ihrem wunderbaren, fast schon magisch zu nennenden Zusammenklang, in einen Tempel, aus dem ein Hauch der Vorzeit weht und zugleich ein kälter werdender Wind aus unserer Gegenwart und ungewissen Zukunft.
Mit Verlaub – und nun komme ich noch einmal zum Ausstellungstitel „Tusculaneum“ – in einen Tempel der klassischen römischen Antike zu Zeiten Ciceros fühle ich mich keinesfalls versetzt, weshalb ich den Titel etwas irritierend finde, auch wenn der Bezug von Katrin König zur römischen Antike durchaus über ihre Biographie authentisch erscheint.
Ich sehe diesen Tempel eher zu einer Zeit, als Stonehenge errichtet und die Scheibe von Nebra gefertigt wurde.
Da diese Anmerkung aber nur von geringer Bedeutung ist, und mir der genannte Umstand den Genuss dieser Ausstellung nicht im Geringsten eintrübt, lassen wir den römischen Staatsmann und Aphoristen Marcus Tullius Cicero nun doch noch zu Wort kommen:
„Menschen kommen durch nichts den Göttern näher, als wenn sie Menschen glücklich machen.“
Seid also beglückt vom Anblick dieser wunderbaren Werke.
Detlef Schweiger
Dresden 10.09.2016